Geschenke der Nacht
Fiour saß am Fenster. Seinen Blick hinaus gerichtet in die Kälte und die Nacht. Neben ihm stand eine Kerze, die ein schwaches Licht von sich gab. Tanzende Schatten spielten an den kahlen Wänden fangen. Der für zwei Personen gedeckte Tisch stand verlassen. Dampf stieg aus einer Schüssel empor, im flackernden Licht hinauf ziehend. Eine Träne rollte dem alten Mann über die faltigen Wangen. Vor sieben Jahren zu dieser Zeit, als der Schnee alle Wege bedeckt und die Kälte alles fest in ihrem Griff hatte, war es genauso gewesen.
Es war genauso gewesen. Nur war es anders gewesen. Der Tannenbaum hatte gestrahlt, von den Kerzen, die daran steckten. Das Licht hatte den silbern und rot glänzenden Kugeln geschmeichelt. Jetzt stand ein kleiner, schiefer Baum ungeschmückt in einer Ecke des Raumes. Der Duft von frisch gebackenem war durch das kleine Haus gezogen. Nun roch es nach kaltem Rauch. Es war gelacht und gesungen worden. Jetzt herrschte Stille. Das Leben hatte dem Haus einen Glanz gegeben, den die beste Beleuchtung ihm nicht hätte verleihen können. Heute war er allein. Das Haus lag im Dunkeln.
Die Träne viel und in ihr brach sich das Licht der Kerze. Zu lange war es her, das seine Frau von ihm gegangen war. Seitdem hielt Traurigkeit sein Herz fest umklammert.
Der Wind zerrte an den Tannen des Waldrandes und schüttelte den dichten, weißen Schleier von den Zweigen. Am Himmel zeigten sich hier und dort ein paar Sterne, die nicht von schweren Wolken verdeckt wurden. Der Mond warf sein Licht kurzzeitig auf die ferne Straße. Das Läuten der Glocken war schon vor einiger Zeit verklungen. Die Kirche interessierte ihn nicht mehr. Sie erinnerte ihn nur. Nichts war mehr wie damals. Es hielt keine Kutsche vor dem Haus, er stampfte nicht durch den Schnee, um die Tür aufzuschließen und er nahm seiner Frau nicht den schweren, aber wärmenden Mantel ab, den er ihr vor Jahren geschenkt hatte. Fiour senkte den Blick und schloss für einen Moment die Augen. Als er wieder aufblickte, sah er eine Gestalt draußen vor dem Fenster stehen. Sie blickte lächelnd hinein, er blickte erstaunt hinaus. Die Züge des im Schatten liegenden Gesichts, das im Wind wehende Haar, alles schien ihm bekannt vorzukommen.
Man hatte ihm gesagt, sie würde nie zurückkommen. Das Leben würde weitergehen. Er dürfe sich nicht in Traurigkeit verlieren. Doch nun sah er sie. Seine Frau, die er so sehr geliebt hatte. Sie war hier. Das Haar erinnerte ihn an schöne Tage im Frühling, das Gesicht an aufregende Nächte im Sommer. Für einen Moment war er wie erstarrt und selbst die Flamme der Kerze schien, den Atem anhaltend, ohne Flackern zu leuchten. Dann sprang er auf. Der Stuhl stürzte um. Seine Schritte führten ihn so schnell zur Tür, wie schon seit Jahren nicht mehr. Der Windsog beim Öffnen der Tür ließ den Schnee in das Haus. Sich gegen die Kälte zu schützen, viel ihm nicht ein. Denn schon wandte sich die Gestalt von ihm und dem Haus ab, ging in Richtung des Waldes. Leichte Schritte schienen sie über den Schnee hinweg schweben zu lassen, während er darin zu versinken schien. Die Tür viel in das Schloss. Doch ihm war es egal. Die Kerze im Fenster stürze um. Doch er bemerkte es nicht.
„Warte!“, rief er in die Nacht und der wunderschönen Frau hinterher, „So warte doch!“
Sie hörte nicht auf ihn und obwohl er durch den Schnee rannte, auf keine Hindernisse achtend und sie nur langsam einen Schritt vor den anderen setze, vermochte er nicht, sie einzuholen. Die Wolken schoben sich vor den Mond und mit dem Verschwinden des letzten Lichtstrahles verschwand auch ihre Gestalt. Schwer atmend rannte Fiour zu der Stelle, an welcher er sie zuletzt gesehen hatte. Das Gesicht, obwohl er es nicht gut hatte erkennen können, die Gestalt, ja die ganze Art der Bewegung hatte ihn an seine Frau erinnert. Obwohl er wusste, dass dies nicht sein konnte, hoffte er, dass sie es gewesen war. Er blickte sich um. Die Welt schwieg und die Dunkelheit verwehrte ihm den Blick. Sofort fühlte er sich wieder allein und hilflos, spürte wie die Traurigkeit wieder nach ihm griff und die aufgekeimte Hoffnung zu vertreiben suchte. Doch ein neues Licht ließ dieses nicht zu. Begleitet von Wärme kam Licht hinter ihm her und erleuchtete den Boden. Direkt vor seinen Augen befand sich eine frische Fußspur im Schnee. Er folgte jener Spur zwischen die Tannen, bis er zwischen ihnen verschwand. Hinter ihm blieb sein Haus zurück, in hellen Flammen lodernd. Mit jeder Spur, die er fand, schienen diese kleiner zu werden und mehr im Schnee unterzugehen, doch führten sie ihn einen kleinen Hügel hinauf. Oben auf diesem Hügel gab es eine kleine Lichtung und in dem Moment, indem er sie betrat, wurden die Wolken vom Wind vertrieben und der Mond sendete sein Licht auf den Schnee. Dort, in der Mitte der Lichtung stand die Frau. Fiour blieb stehen. Er wollte etwas sagen, doch die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, bildeten keine Worte und so blieb er einfach stehen, während der Wind mit dem Haar der Frau spielte. Sie trug den Mantel, den er ihr einst geschenkt hatte. Sie drehte sich langsam um. War sie nur deshalb gekommen? Ihre Hände bewegten sich wie in Zeitlupe, ihre blaugrünen Augen waren erfüllt von Träumen und Gefühlen und in ihrem Gesicht zeigte sich ein Lächeln, als würde sie jemanden wieder erkennen, den sie lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Er ging auf sie zu, nahm die Hand, die sie ihm reichte und plötzlich war er wieder ebenso glücklich wie sie. Die Nacht hatte ihm geschenkt, was er sich am meisten gewünscht hatte, was ihm jedoch niemand sonst hätte schenken können: Zeit mit dem Menschen, den er am meisten liebte. Und das Leben ging weiter.