Das Schlachtfeld
Schüsse von Maschinengewehren erklangen. Irgendwo in der Nähe explodierte etwas und der Lärm ließ die Soldaten, welche sich in den schlammigen, stinkenden Schützengräben verschanzt hatten, zusammenzucken. Wer war diesmal gestorben? Ein Feind oder ein Freund?
Wieder erklangen Schüsse. Diesmal klangen sie schon näher.
Gefreiter Naumann, welcher in die Uniform der Weststaaten gekleidet war, lag im Graben. Das Gewehr auf einem Stück Holz auf dem Rand des Grabens gelegt. Bereit zum Schuss. Die blaue Uniform war durch den Schmutz und den Regen der vergangenen Tage grau geworden.
Neben dem Mann lag die Leiche eines jungen Soldaten. Sein Blut war schon lange geronnen. Alle Versuche, ihm zu helfen, hatten nichts genutzt. Er hatte erzählt, er würde morgen achtzehn werden und sich auf die Rückkehr zu seiner Freundin freuen. Naumann dachte an seinen eigenen, sechsjährigen Sohn.
Wieder erklangen Schüsse, diesmal wieder etwas weiter entfernt.
Zu Anfang des Krieges waren sich alle so siegessicher gewesen, man hatte mit einem, ja vielleicht zwei Jahren gerechnet, aber niemals mit fünf. Zuerst waren die großen Städte vernichtet worden: Hongkong, New York, Washington, Paris, Berlin, sie alle lagen jetzt unter dem radioaktiven Schutt begraben, den die Weltbefreiungsbomben, wie sie vor dem Krieg genannt wurden, angerichtet hatten. Naumann wünschte sich, dass dieser Krieg nie begonnen hätte.
Wieder erklangen einige Schüsse. Doch der Mann hörte sie schon gar nicht mehr. Er hatte sich nun in eine heilere Welt zurückgezogen. In eine Welt, wie er sie sich wünschte.
Kinder liefen über die Straße, welche links und rechts reichlich mit grün gesäumt war. Ein kleines Auto fuhr um die Ecke und blieb vor einem luxuriösen Haus stehen. Ein Mann stieg aus. Er trug einen teuren Anzug und einen schweren Aktenkoffer und ging auf das Haus zu. Die Haustür schwang auf und ein kleiner Junge kam herausgerannt.
„Vati!“, rief er und rannte seinem Vater in die Arme.
Nun erschien auch die Mutter in der Tür. Ein Lächeln zog sich über ihr Gesicht.
Der Mann hob seinen Sohn hoch, lachte mit ihm und trug ihn zum Haus. Dann fiel die Tür hinter ihnen in das Schloss.
Naumann, gekleidet in eine schmutzige, halb zerrissene Uniform, sah, von allen unbemerkt, in eine andere Richtung. Da stand ein großer, alter Baum. Seine Blätter flatterten leicht im sanften Frühlingswind. Junge Vögel zwitscherten in einem Nest.
Durch das Fenster eines anderen Hauses konnte er drei Personen sehen, die an einem Tisch saßen. Ein Mann und eine Frau auf der einen, ein junger Mann in einem teuren Anzug auf der anderen Seite. Das Ehepaar hielt sich die Hände und schien sehr unglücklich zu sein. Der andere Mann reichte den beiden Hauseigentümern einen Zettel und einen Stift. Die Frau nahm ihn entgegen und unterschrieb, dann reichte sie ihn an ihren Ehegatten weiter, sodass dieser auch unterschreiben konnte. Wenig später verließen die drei das Haus.
„Sehen sie? Es ist besser so. Sie sind einen Großteil ihrer Schulden los. Eine Zwangsversteigerung hätte ihnen weniger gebracht.“
„Aber wo sollen wir jetzt hin?“, fragte die Frau weinend.
„Das müssen sie jemand anderen fragen.“
Der Bankangestellte stellte ein Schild in den Garten, auf dem „Zu verkaufen“ stand. Alles, was dem Paar geblieben war, waren vier Koffer und der Inhalt darin.
In der einen Welt tobte ein von Schmerzen erfüllter, blutiger und gewaltsamer Krieg, der Millionen das Leben kostete. Der Krieg um Land und um Macht anderen gegenüber. In der anderen Welt tobte ein fast unsichtbarer, meist unblutiger Krieg, der einigen Leuten die Würde und das tägliche Brot kostete. Der Krieg ums Geld und um Macht, einem einzelnen oder einer kleinen Gruppe gegenüber.