Eine Berührung Zuviel
Das Holz ächzte, als Ru auf dem Achterdeck landete – einem erhöhten Podest aus dunklem, lackiertem Teakholz, das unter der feuchten Seeluft bereits Risse zeigte. Die roten Segel, mit schwarzen Drachenmustern bestickt, blähten sich im Wind. Überall hingen Laternen aus Bambus und Papier, noch ohne Feuer darin, denn die Sonne stand am Himmel. Das Schiff war ein Dschunke – breit gebaut, mit einem hochgezogenen Bug und mehreren Decks, die von kunstvoll geschnitzten Geländern gesäumt waren. Die Takelage war ein Gewirr aus Seilen und Holzrollen, und der Mast trug das Banner der Schwarzen Schildkröte – das Zeichen der berüchtigten Piratenflotte von Zhou Yan.
Das Seil, mit dem Ru sich vom Mast herabgeschwungen hatte, schwang zurück und das Gewicht daran riss einen seiner Verfolger zu Boden. Sein schiefes Grinsen hielt jedoch nicht lange. In letzter Sekunde konnte er einem gezielten Stich mit dem Säbel auf seine Brust ausweichen. Er drehte sich herum, fischte mit dem rechten Bein einen Eimer von Deck und schleuderte ihn gegen das Kinn des rotbärtigen Mannes mit der Stichwaffe. Ru fing den Eimer mit seiner Rechten wieder auf. Der Angreifer verlor für einen Moment die Orientierung, was Ru die Chance gab, ihm seine Waffe aus der Hand zu schlagen. Scheppernd viel sie auf die Planken. Ru wollte nach der Waffe greifen, doch schon waren zwei weitere Männer bei ihm. Den Eimer als Schutzschild nutzend wehrte er die Angriffe elegant ab. Er grinste. Das Spiel schien endlos. Doch plötzlich löste sich das Metall, das die Holzbretter des Eimers zusammenhielt und der Eimer zerbrach. Die einzelnen Bruchstücke fielen zu Boden. Rus Grinsen verschwand aus seinem bärtigen Antlitz. Jetzt war es an den beiden schwarzhaarigen Angreifern mit dem schlanken Gesicht und leicht gelben Hautton zu grinsen. Die beiden Männer schwangen ihre Dao-Säbel mit fließender Präzision – gebogene Klingen, die im Sonnenlicht blitzten und wie Verlängerungen ihrer Arme wirkten. Ru konnte nur ausweichen, weil er plötzlich einen Satz in die Höhe und zurück machte. Er landete auf der Reling. Er hatte Mühe sein Gleichgewicht auf dem schmalen Holz zu finden und ruderte mit den Armen. Dabei spürte er, wie ihm etwas Kleines, ovales aus dem linken Ärmel rutschte. Er griff danach, doch es glitt einfach durch seine Hände. Im letzten Moment bekam er die Kette daran zu greifen. Das jadefarbene Amulett wog kaum etwas und doch schien es in diesem Moment so schwer, dass das ganze Schiff sich zur Seite neigte.
„Halt!“, ertönte eine kräftige Stimme und die beiden Angreifer hielten mitten im Schlag inne.
Ru blieb in seiner Position. Den linken Arm weit über die Reling ausgestreckt, die Hand fest um die Kette geklammert. Das rechte Bein hoch gereckt, um das Gleichgewicht auf dem schwankenden Schiff nicht zu verlieren. Vorsichtig neigte er den Kopf, um die Situation an Deck sehen zu können. Ein breiterer, in eine schwarze Weste gekleideter Mann mit einer langen Narbe quer über das Gesicht hielt eine Pistole auf ihn gerichtet.
„Gib mir das Amulett zurück, Lu. Dann vergessen wir die ganze Sache“, sagte der Kapitän und neigte den Kopf leicht zur Seite. Sein Blick schien starr auf Ru gerichtet, aber dieser wusste, dass seine Gedanken nur das Objekt seiner Begierde fixierten. Das in seiner goldenen Einfassung im Sonnenlicht glänzende Amulett. Würde er es ihm geben, wäre er der Einzige, den man vergessen würde. Sein ursprünglicher Plan, eines der Beibote zur Flucht zu nutzen, war jedoch außerhalb jeder Reichweite. Die kalte See unter ihm war auch nichts weiter, als ein großes Seemansgrab.
„Ich heiße Ru. Mit einem rollenden r“, korrigierte er, lockerte seinen Griff und sagte: „Ups.“
Das Amulett fiel. Man konnte hören, wie alle an Deck den Atem anhielten. Kapitän Zhou Yan klappte die Kinnlade hinunter. Ru nutzte den Moment. Es war seine einzige Chance. Eine geringe Chance, gewiss – aber besser als gar keine. Er ließ sich fallen. Einen Moment später schloss sich das salzige Wasser über ihm.
Das Wasser brannte in Rus Augen. Stoffhose und Hemd saugten sich mit salzigem Meerwasser voll. Das zusätzliche Gewicht zog ihn unaufhaltsam in die Tiefe. Er wehrte sich nicht, im Gegenteil: Er nutzte den Sog, um in der trüben Dunkelheit nach dem Medaillon zu greifen. Etwas blitzte kurz auf. Nur ein schwacher, goldener Schein, der nach einem Moment schon wieder vom Wasser geschluckt wurde. Er griff danach mit seiner linken Hand. Was er packte, fühlte sich klein und oval an. Er hatte es! Schnell begann er mit den Beinen zu treten. Das Medaillon fest umklammert befreite er sich von seinem Hemd. Sein Atem wurde knapp und damit seine Zeit. Er löste das Kordband seiner Hose und es war, als würde plötzlich ein zusätzliches Gewicht daran ziehen. Schnell rutschte sie von seinen Beinen. Jetzt war er wieder leicht genug, um die Oberfläche erreichen zu können. Er breitete die Arme aus, die großen Hände zu Flächen ausgestreckt und stieß das Wasser hinab. Der Schwung trieb ihn nach oben. Bis er abrupt gestoppt wurde. Etwas umklammerte sein linkes Bein. Nur einen Augenblick später wurde auch das andere umschlungen. Was war das? Mit Sicherheit eine Hand, die ihn griff. War einer der Piraten vom Schiff hinter ihm her in das Wasser gesprungen? Aber wieso sollte derjenige ihn tiefer ziehen? Und dann auch noch mit solcher Kraft. Und das unter Wasser. Ru krümmte sich zusammen. Er hatte keine Wahl, er musste unter Wasser kämpfen. Die Hände von seinen Knöcheln lösen und die Oberfläche erreichen, bevor ihm die Luft endgültig ausging. Er schaffte es mit der freien Hand den Griff, um seinen Knöchel aufzubrechen. Sofort nutzte er sein Bein, um nach der anderen Hand zu treten. Die Finger lösten sich, doch im nächsten Moment schloss sich ein fester Griff um sein rechtes Handgelenk. Die zweite Hand packte ihn an derselben Stelle. Plötzlich wurde er mit einer Kraft beschleunigt, wie er sie unter Wasser nie für möglich gehalten hätte. Er merkte, wie er im Kreis herumgewirbelt wurde. Schon hatte er die Orientierung verloren. Ein Sog entstand. Was war das nur? Eine starke Strömung? Nein. Die Bewegung ging definitiv von dem Griff um sein Handgelenk aus. Wenn der Griff jetzt loslassen würde, wüsste er nicht einmal, ob er nach unten oder oben trieb. Sein Atem war verbraucht. Er musste entkommen. Schnell. Sonst wäre das sein Ende. Mit der freien Hand griff er nach den Fingern, die ihn hielten und versuchte sie zu lösen. Er war so kurz vor dem Ziel. Er hielt das Medaillon doch in seiner Linken. Seine Hand! Der Sauerstoffmangel ließ ihn die Kontrolle verlieren. Seine Finger lösten sich und das Schmuckstück entglitt ihm, direkt in die Hand, die sich gerade von seinem Arm gelöst hatte. Ein starkes, grünes Glühen umhüllte ihn plötzlich. War dies das Licht, das ihn ins Reich der toten Seeleute führen würde? Die Kreisbewegung hatte aufgehört. Aber es war zu spät. Der Mangel an Luft hatte den Atemreflex unwiderstehlich gemacht. Doch da gab es keine Luft. Seine Lungen füllten sich mit Wasser. Sein Bewusstsein füllte sich mit Erinnerungen an die Vergangenheit. Er spürte noch, wie er durch das Wasser glitt und dann eine leichte Berührung. Mehr nicht.
Wellen rollten über feinen Sand, begleitet vom sanften Rauschen des Meeres. Ein paar kleine, weiße Wolken zogen am ansonsten makellosen blauen Himmel entlang. In der Nähe kreischten ein paar Möwen, die sich im salzigen Wind treiben ließen.
„Du wirst das sofort rückgängig machen!“ Eine Frau trat wie ein dunkler Schatten über dem im Sand liegenden Ru und setzte einen ihrer blanken Füße mit vollem Gewicht auf seine Brust. Er musste husten und spuckte Wasser, das nach Salz und ein wenig Blut schmeckte.
„Hast du nicht gehört? Jetzt! Sofort!“, die Frau hatte die Arme vor der Brust verschränkt und funkelte ihn mit wütendem Gesichtsausdruck an, der geprägt war von ein paar Grübchen, im ansonsten zierlichen Gesicht.
„Was? Ich …“, Ru wusste nicht einmal wie er hierhergekommen war. Das letzte, an das er sich erinnerte, war wie sich seine Lungen mit Wasser gefüllt hatten.
„Stell dich nicht dumm! Ich weiß, dass du es warst! Da waren nur wir beide.“
Was meinte diese Frau? Er hatte sie noch nie in seinem Leben gesehen. An ihre funkelnden, seetanggrünen Augen hätte er sich bestimmt erinnert. Er erinnerte sich doch nur an das dunkle Meerwasser und die Hände, die ihn gegriffen und hinab gezogen hatten. Zu den Händen musste natürlich eine Person gehört haben. War sie das? Unmöglich. Wie sollte jemand mit so schlankem Körper und zierlichen Armen ihn unter Wasser gezogen haben?
Ru wurde die Luft aus den Lungen gepresst, als sie ihren Fuß mit mehr Druck auf seine Brust setzte. Er hatte es schwer noch zu atmen und starrte sie an. Ihr langes, welliges Haar fiel über die Schultern und bis über ihre Brust. Um ihre gesamte Taille spannten sich hauchfeine Tattoos in Wellenform. Ihr knapper Rock hatte einen Mix aus dunkelgrünen und graublauen Farben und schien aus Algen gemacht.
Die Erklärung schoss ihm durch den Kopf und direkt aus dem Mund: „Du bist eine Meerjungfrau.“
Sie schnaubte.
„Ich war eine Mehrjungfrau!“, zischte sie wütend, „Nun mach schon diese dämliche Verwandlung rückgängig!“
„Verwandlung?“, schoss es Ru durch die Gedanken. Ruckartig drehte er seinen Kopf und sah zu seiner linken Hand. Er trug immer noch den schwarzen Lederhandschuh, aber in der geöffneten Handfläche befand sich nichts.
„Wo ist das Amulett?“, fragte er panisch, als ihm in den Sinn kam, was passiert sein musste.
„Du meinst das Ding hier?“, die Frau drehte das Amulett in den Fingern ihrer Hand und betrachtete es gelangweilt, „Sah interessanter aus, als es ins Wasser viel.“
Ru ließ den Kopf zurück in den Sand fallen und schloss die Augen. All seine Mühen. Der ganze Plan. Die monatelangen Vorbereitungen. Jeder einzelne, dieser widerlichen Grogs, den er getrunken hatte, um bei der Mannschaft aufgenommen zu werden. Es war alles umsonst gewesen.
„Was ist los? Was hast du? Du willst mir doch nicht schon wieder wegsterben, bevor du mich zurückverwandelt hast, oder?“, sie beugte sich zu ihm hinunter und verpasste ihm eine kräftige Backpfeife. Jetzt wusste er, warum sein Kiefer seit dem Aufwachen so schmerzte.
„Ich habe dich nicht verwandelt. Das war das Medaillon.“
„Wie?“, sie sah zu dem glänzenden Stein in ihrer Hand und verzog angewidert das Gesicht. Mit einem „Ihh!“ ließ sie das Schmuckstück in den Sand fallen.
„Es wirkt, wenn man es mit bloßen Händen berührt. Dann verwandelt es einen in das, was einem im Leben weiterhilft.“
„Weiterhilft? Soll das ein verdammter Scherz sein?“
Es schien Ru unmöglich, aber sie schaffte es, den Druck auf seine Brust noch zu erhöhen. Er fühlte sich in den Sand gepresst, unfähig sich aus der Lage zu befreien.
„Ich bin ein lahmer Zweibeiner!“ Sie ließ die Arme sinken und ballte die Hände zu Fäusten, „Wie soll mir das bitteschön weiterhelfen?“
Ru bekam kaum noch Luft und so antwortete er nicht auf ihre Frage, sondern sagte: „Dafür, dass du sonst einen Fischschwanz hast, kannst du mit deinen Beinen aber gut zutreten.“
Sie grinste einen Moment schief, „Ist ja nicht schwer. Sehe euch oft genug auf euren Holzkisten herumlaufen.“
Sie verringerte den Druck, beugte sich, in seine Augen blickend hinab und fragte mit einem Lächeln: „Also. Wie werde ich diesen Fluch wieder los?“
„Ähm“, Ru schluckte. Er hatte sich natürlich mit dieser Frage beschäftigt, falls etwas schieflaufen sollte. Doch er bezweifelte, dass der Frau die Antwort gefallen würde.
„Nun sag schon“, sie gab ihm etwas mehr Luft zum Sprechen, indem sie ihren Tritt lockerte.
„Man sagt, das Medaillon verliert seine Wirkung, sobald es einmal benutzt wurde. Es funktioniert erst wieder, wenn die vorherige Verwandlung beendet wurde und das“, Ru zögerte, bevor er die unschöne Wahrheit aussprach: „Passiert nur durch den Tod.“
„Wie?“, die Meerjungfrau riss die Augen weit auf.
„Egal wie. Hauptsache Tod.“
Sie starrte ihn für ein paar Augenblicke stumm an. Ihre Gedanken gingen hin und her. Sagte er die Wahrheit? Wieso sollte er lügen? Das würde ihm auch nichts bringen.
„Du musst mir helfen! Du bist schließlich schuld daran, dass ich verwandelt wurde.“
„Was? Ich bin schuld? Du hast dir doch das Medaillon geschnappt!“
„Ja. Aber das hätte ich nicht gemacht, hättest du es nicht in das Wasser geworfen! Du siehst: Es ist alles deine Schuld.“
„Klar. Du suchst nur eine Ausrede. Man nimmt auch nicht so einfach an sich, was anderen gehört.“
Die Meerjungfrau lachte leise, „Das sagt der Richtige. Das Medaillon gehört auch nicht dir und wie war das letzte Woche auf der Aokami mit dem goldenen Kelch?“
„Ich hole nur Sachen zurück, die gestohlen wurden und …“, Ru unterbrach seinen Satz, als ihm bewusst wurde, dass sie etwas erwähnt hatte, das sie nicht wissen sollte, „Moment mal. Woher weißt du das von der Aokami?“
„Oh.“ Eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht und brachte ihre Wangen zum Glühen, „Ich habe das irgendwo gehört. Reiner Zufall.“
Sie schaute für einen Moment auf die Wellen und hatte ihren Tritt so weit gelockert, dass er sich wieder rühren konnte. Ru nutzte die Gelegenheit, rollte sich unter ihrem Fuß fort und sprang auf die Beine. Er ging in eine Abwehrhaltung. Doch sie machte keine Anstalten, ihn anzugreifen. Sie drehte den Kopf einfach wieder zu ihm zurück und sah ihn mit flachen Mundwinkeln und traurigem Blick an. Wellen rollten an den Strand, während der Wind eine Möwe lautlos über ihre Köpfe trieb, ehe sie wieder sprach: „Bitte. Hilf mir. Ich kann in dieser Form nicht leben.“
Das Medaillon lag im Sand. In seiner jetzigen Form wertlos. Doch Ru wusste, wie er ihm wieder Magie verleihen konnte. Nicht mehr benommen und unter ihrem Gewicht müsste er selbst mit bloßen Händen gute Chancen haben. Es gab für sie sowieso keinen anderen Weg. Er würde sie von ihrem Leid erlösen. Das war doch sogar etwas Gutes. Es gab eh keinen anderen Ausweg. Das Medaillon würde ihn reich machen. Er könnte ihr dann auch ein paar Blumen auf ihr Grab setzen. Das war die beste Möglichkeit und die Einzige. Er sah, wie eine höhere Welle ihre Fußabdrücke im Sand umspülte und davon trug. Ru entspannte sich, ließ seine Arme hinabsinken und öffnete die Fäuste.
„Es gibt viele magische Artefakte auf der Welt. Vielleicht kann ein anderes …“
„Ja!“, sie hob ruckartig den Kopf und ihr Gesichtsausdruck hatte sich komplett gewandelt. Er strahlte Hoffnung aus und mit ihrer Körpersprache, wieder die selbstsichere Überlegenheit von zuvor.
„Ich habe über die Jahre viele Dinge gesammelt. Da wird eines dabei sein, das hilft.“
„Gesammelt?“, Ru fragte sich, warum sie es so zögerlich ausgesprochen hatte.
Sie zeigte ihm ein schiefes Grinsen und sagte: „Was ich mag, hole ich mir in die Tiefe.“
„Was du magst?“, er erinnerte sich an den festen Griff, mit dem sie ihn hinabgezogen hatte, „Weshalb hast du mich dann hinuntergezogen?“
Sie erstarrte einen Moment, ehe sie sich wegdrehte. „Weil … ich dachte, du wärst eine Schatzkiste. Ich nehme mir eben gerne, was euch ins Wasser fällt.“
„Du meinst, du stielst es“, brachte er es auf den Punkt. Aber er wusste nicht, wie sie das anstellte, „Aber wie holst du es von den Schiffen?“
„Ein Stoß hier, ein kleiner Sturm da und meistens reicht es, einfach lange genug zu warten. Das kennst du doch bestimmt.“
Er schüttelte grinsend den Kopf. Ihre Methoden schienen gar nicht so unterschiedlich zu sein.
„Bis auf das mit dem Sturm.“
„Ist wirklich praktisch“, sagte sie mit einem verschwörerischen Lächeln und wandte den Blick in Richtung Meer,
„Vielleicht zeige ich dir, wie es geht, wenn du mir ein paar Artefakte aus meinem Versteck holst.“
Er wusste zwar nicht, ob er in der Lage sein würde, eine solche magische Fähigkeit zu erlernen, aber allein zu Erfahren, wie die Meerjungfrau es anstellte, konnte ein sehr wertvolles Wissen sein.
„In Ordnung. Wo liegt dein Versteck?“
„Ach. Es ist nicht weit weg und nicht besonders tief. Nur so etwa eine halbe Meile unter der Oberfläche“, sie sagte es so, als ob es jeder schaffen könnte.
Ru atmete tief ein. Das war mehr als das zehnfache von dem, was ein Mensch schaffen konnte. „Äh. Das ist zu tief für mich. Ich könnte nicht einmal lange genug die Luft anhalten.“
„Häh?“, sie drehte sich wieder zu ihm um. In ihrem Gesicht waren Enttäuschung und Verwunderung deutlich sichtbar, „Wer sagt, das du in meinem Versteck nicht atmen darfst?“
„Menschen können nicht unter Wasser atmen“, klärte Ru sie auf.
„Oh“, sie musste die Erkenntnis erst einen Moment sacken lassen, „Und ich dachte es wäre eine Nebenwirkung des Fluchs, als ich plötzlich keine Luft mehr bekam. Ihr könnt echt im Meer nicht atmen? Deshalb sterbt ihr also so schnell, wenn ihr nur kurz unter Wasser seid.“
Ru sah sie fassungslos an, „Du meinst, du kannst Laufen, weil du uns dabei zugesehen hast, aber du hast bisher nicht mitbekommen, das wir unter Wasser ertrinken?“
„Pft“, machte sie patzig, „Einer von euch hätte ja mal was sagen können!“
„Wir können auch nicht unter Wasser reden.“
Die Meerjungfrau verdrehte die Augen, „Könnt ihr überhaupt etwas anderes im Wasser, als ertrinken?“
Es war offensichtlich, das ihre Meinung von Menschen immer weiter abnahm. Das konnte Ru nicht auf sich beruhen lassen und sagte: „Ich kann zumindest ganz gut schwimmen.“
„Wirklich?“, sie blickte zu ihm zurück und musterte ihn von unten bis oben, „Glaub ich kaum! Das will ich sehen!“
Damit rannte sie los und sprang in das Wasser, sobald es tief genug war. Ru konnte ihr diese abwertende Art mit ihm zu reden nicht durchgehen lassen. Er sprang ebenfalls hinein und schwamm mit kräftigen Zügen hinter ihr her. Kaum hatte er sie eingeholt, grinste sie ihn schelmisch an und legte die Arme eng an ihren schlanken Körper. Sie presste die Beine zusammen, bewegte sie wie eine Flosse auf und ab und war im Nu außer Reichweite.